Das Sehnen nach Harmonie und Glückseligkeit

„Das Einzige worauf es ankommt, ist,
dass wir darum ringen, dass Licht in uns sei.“
[Albert Schweitzer]

Darum ringen, dass Licht in uns sei?
Darum ringen? Ringen?

Haben wir nicht tief in uns immer geglaubt oder gehofft, es sei ganz leicht, lichtvoll zu sein?
Haben wir nicht immer geglaubt, als „Gut-Mensch“ oder Engel wäre das Leben wirklich leicht? Man müsste sich nicht mühen, hätte keine Probleme und würde beständig in Liebe, Frieden, Harmonie und Glück leben; das Leben wäre ein reines Zuckerschlecken.
Das wäre doch schön.

Oder?

Die Erde ist eine Welt voller Gegensätze und Polaritäten: Tag-Nacht, Licht-Schatten, Sommer-Winter, Leben-Tod….
Ist in so einer Welt das dauerhafte Sein in einer der beiden Polaritäten möglich? Und falls ja, wäre es schön?
Immer Licht, niemals Dunkel. Immer Tag, niemals Nacht. Immer Sonnenschein, niemals Regen. Immer satt, nie hungrig. Immer aktiv, nie passiv. Immer jung, nie alt. Immer in Gesellschaft, nie allein. Immer Leben, niemals Tod. …
Wäre das das Paradies? Und würden wir es langfristig in so einem „Paradies“ aushalten?

Ich habe vor einiger Zeit einen Spielfilm gesehen, in dem Menschen von der Erde im All auf einem besonderen Planeten landeten, ein Planet der vollkommenen Harmonie und Glückseligkeit.

Die Bewohner dieses Planeten waren junge schöne glückliche Menschen voller Liebe, Gesundheit und Frieden. Und alles war in Fülle vorhanden. Die Bewohner des Planeten lebten lächelnd,  zufrieden, glücklich und harmonisch in dieser Fülle, alles ganz leicht und lichtvoll.
Die Besucher von der Erde konnten es kaum glauben, dass es so etwas gibt und tauchten voller Glück und Freude ganz ein in dieses Paradies der Fülle und genossen es sehr. Große Glückseligkeit.
Nach einiger Zeit der Glückseligkeit machte sich bei den Erden-Menschen eine innere Unruhe bemerkbar und sie wurden zunehmend unzufriedener. Sie sehnten sich nach Herausforderungen und Abwechslung, wollten etwas verändern oder ausprobieren können. Die Bewohner des Planeten konnten dieses Sehnen und die Unruhe nicht nachvollziehen und reagierten auf Änderungsvorschläge der Erden-Menschen mit Trägheit und Desinteresse. Wofür soll man etwas ändern, wenn doch alles perfekt und in Fülle vorhanden ist?
Dieses Desinteresse und die Trägheit der Planeten-Bewohner konnten wiederum die Erden-Menschen nicht verstehen und ihr Verhältnis zu den jungen schönen glücklichen Planeten-Bewohnern veränderte sich. Die gleichbleibende Jungendlichkeit und Wunschlosigkeit der Planeten-Bewohner empfanden die Erden-Menschen nun als oberflächlich, seicht und langweilig.
Nach einer weiteren Weile entschlossen sich die Erden-Menschen, diesen Planeten zu verlassen und sich wieder auf den Weg in die unperfekte andere Realität zu machen.
Und obwohl sie freiwillig den Planeten verließen und darüber froh waren, waren sie dennoch auch wehmütig.

Ich fand es sehr spannend, dass keiner die Erden-Menschen vertrieben oder gedrängt hat, den Zustand der vollkommenen Harmonie und Glückseligkeit zu verlassen, keine „Vertreibung aus dem Paradies“.
Es war ein selbstgewählter Entschluss, ein Aufbruch in ein Abenteuer. Sie verließen das „Paradies“ freiwillig, um in eine unperfekte Realität zurückzukehren, um sich wieder ausprobieren zu können: sich Herausforderungen stellen, Gegebenheiten verändern, Neues ausprobieren, an die eigenen Grenzen stoßen, diese vielleicht überwinden, Ziele und Ideale haben…
Und spannend war auch, dass trotz der Erleichterung und der freien Wahl dennoch Wehmut über das „verlorene Paradies“ mitschwang.

Für mich ist diese Geschichte ein Gleichnis über die Wege der Seele durch die Schöpfung:
Aus dem paradiesischen Zustand der Einheit, der universellen Liebe, Harmonie und Glückseligkeit verspürt ein Anteil den Wunsch, sich auszuprobieren, sich selbst zu erfahren: die Sehnsucht nach einem „Abenteuer-Urlaub“, einen Ausflug auf einen „Abenteuer-Spielplatz“ (einen „Abenteuer-Planeten“).
Und so begibt sich die Seele auf ihre Erden-Reise, um genau hier die idealen Möglichkeiten zu finden, sich immer wieder zwischen den Extremen der Polaritäten auszuprobieren. Doch obwohl sich die Seele genau hierher gewünscht hat und genau hier neue Erfahrungen sammeln möchte und sich auf die Herausforderungen und Abenteuer freut, gibt es dennoch Wehmut und Sehnsucht nach dem „Paradies“. Als hätte die Seele vergessen, dass sie freiwillig die vollkommene Harmonie verlassen hat, um sich im Spannungsfeld der Polarität neu zu erfahren. Und dann -nach Ende des Abenteuer-Ausflugs – kehrt die Seele zurück in das „Paradies“, voller Freude über die Entspannung und Harmonie nach all den aufregenden Wahrnehmungen und Erfahrungen.
Vielleicht ist mit diesem einen Ausflug das Sehnen nach Abenteuer gestillt und die Seele kann dauerhaft erfüllt und in Frieden im „Paradies“ sein und bleiben.
Aber vielleicht wird das Sehnen irgendwann doch wieder da sein und sie entscheidet sich, einen weiteren Abenteuer-Ausflug zu machen…

So gesehen brauchen wir Menschen auf der Erde die Polaritäten, weil nur eine polare Welt es möglich macht, uns derart frei auszuprobieren.
Nur die Möglichkeit, beide Extreme ausprobieren zu können erlaubt eine freie Wahl.
Wenn es 2 Extreme gibt, entsteht ein großes Spektrum an Möglichkeiten, sich auszurichten:
– das eine Extrem,
– das andere Extrem,
– eine der vielen vielen Positionen dazwischen.

Ist nicht genau das die Herausforderung und das große Abenteuer und gleichzeitig die große Fülle und Chance: sich auf der gesamten Skala immer wieder neu entscheiden und positionieren zu müssen (dürfen/können)?

Ich persönlich erlebe diese Herausforderung der Wahl und Entscheidung besonders deutlich und bewusst, wenn mich etwas persönlich „anpiekt“ und ärgert. In solchen Momenten sind mir die verschiedenen Reaktions-Möglichkeiten sehr bewusst:
– das eine Extrem: verärgert, hart und urteilend
– das andere Extrem: liebevoll, weich, annehmend, verständnisvoll
– die verschiedenste Formen und Möglichkeiten dazwischen.

Wofür entscheide ich mich?

Das Einzige worauf es ankommt, ist, dass wir darum ringen, dass Licht in uns sei.

Herzliche Grüße
Anja Trude

Foto: MiguelRPerez, pixabay