Jeder von uns hat ganz individuelle Besonderheiten, Eigenschaften oder Fähigkeiten, die sich zu einer individuellen Gabe verbinden; etwas, das einem ganz leicht fällt und das eine Bereicherung für uns selbst und unser Umfeld ist.
Mit „Gabe“ verbinden wir oft „Supertalente“ und „Wunderkinder“. Wir denken vielleicht, es geht um spektakuläre, sichtbare Leistungen. Aber eigentlich ist die eigene Gabe meist sehr „leise“, etwas sehr Persönliches, etwas, was wir in uns tragen und mit dem wir gerne bei uns sind.
Manche von uns suchen lange vergeblich im Außen und im Innen, bevor sie irgendwann erstaunt feststellen, dass die eigene Gabe (natürlich) schon die ganze Zeit da war. Wir erkennen diese spezielle eigene Besonderheit, Eigenschaft oder Fähigkeit meist zunächst nicht als unsere individuelle Gabe, da es uns ganz unspektakulär, gar nicht besonders und nicht ungewöhnlich vorkommt. Wir glauben, „das ist doch ganz normal“. Und weil es uns so normal und selbstverständlich erscheint, bemerken wir oft zunächst auch nicht, dass es etwas Individuelles ist. Wir sind oft sogar erstaunt, wenn wir feststellen, dass andere Menschen anscheinend genau diese spezielle Fähigkeit, Besonderheit oder Eigenschaft nicht ihr Eigen nennen. Das, was einem selbst ganz leicht und selbstverständlich erscheint, ist bei vielen anderen Menschen gar nicht angelegt oder nur mühsam möglich; weil sie ganz andere individuelle Gaben haben.
Solange wir uns nicht bewusst sind, was die eigene Gabe ist, bemerken wir oft auch nicht, welche tiefe innere Freude uns genau dieses Tun oder Sein bereitet. Wir erkennen zunächst nicht, wie selbstverständlich es uns beglückt, innerlich auffüllt, ausfüllt und bereichert, uns unserer Essenz ganz nahe bringt und das Herz vor Freude lächeln lässt. Doch dies geschieht so selbstverständlich, dass wir es zunächst gar nicht erkennen, was es ist.
Jeder von uns ist einzigartig, daher hat jeder von uns ganz besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten und somit seine individuelle Gabe.
Doch viele von uns erkennen erst mit zunehmender Bewusstwerdung und im Kontakt oder durch die Reaktion oder Rückmeldung von Anderen, was die eigene individuelle Gabe ist.
Wenn du erkannt hast, fühlst und weißt, was dich ausmacht und was deine Gabe ist, wirst du diese auch leben wollen. Denn in diesen Momenten liegt ein tiefes Glück. Du spürst und weißt, das ist deine Bestimmung und entspricht deiner Seele. Du bist ganz bei dir, zentriert, voller innerem Glück und innerem Frieden. Zeit spielt keine Rolle, der Alltag verschwindet, Hunger und Durst treten zurück, Müdigkeit ist nicht wahrnehmbar. Du bist konzentriert und gleichzeitig entspannt, ganz leicht, im Fluss, ganz eingetaucht, ganz bei der Sache, ganz bei dir.
Es ist ein pures Vergnügen, oder nein, es ist viel mehr als Vergnügen: es ist für dich das pure Sein, das Leben, das Erfahren der Fülle. Es ist Lebendigkeit, Freude, Glück, intensiv und köstlich.
Da ist sie, deine Gabe. Etwas, das dir tiefe Freude bereitet und dir leicht fällt, etwas, das dir entspricht und dich erfüllt. Einfach so. Ganz leicht und wie von selbst. Es bringt deine Seele zum Schwingen und Klingen. Und dieser Klang, dieses Strahlen, diese Freude dehnt sich aus.
Würde man es malen oder filmen können, könnte man vielleicht sehen, dass dieses Strahlen in einer wunderschönen Farbe dich selbst ganz ausfüllt. Anschließend breitet es sich sanft im Raum um dich herum aus, immer weiter. Wie sanfte Wellen zieht es immer weitere Kreise. So füllst und nährst du mit deiner Gab ganz leicht und ohne aktives Tun dich selbst und dein gesamtes Umfeld; mit deiner Liebe, deinem Strahlen, deinem Lächeln, deiner Freude, deinem Frieden, deinem Sein.
Manchmal tauchen dann plötzlich Missklänge auf, irgendetwas verändert sich. Altbekannte „dunkle“ Gefühle und Gedanken schleichen sich in dein glitzerndes inneres und äußeres Strahlen. Zuerst sind diese „alten Bekannten“ gar nicht zu bemerken. Wie ein Nebel breiten sie sich aus, lassen dein Strahlen verblassen und versperren dir die klare Sicht. In dem Nebel sind die Stimmen der „alten Bekannten“ deutlich und weit zu hören: „Bist du erfolgreich?“, „Kannst du davon leben?“, „Ist diese Fähigkeit überhaupt etwas wert?“, „Kann es die Gabe sein, wenn es kein oder so wenig Geld einbringt?“
Und in diesem Nebel-Chor des Mangels, der Minderwertigkeitsgefühle, des Zweifels und der inneren Sabotage wachsen dunkle Löcher, die immer größer werden und sich ausdehnen: Mutlosigkeit, Kraftlosigkeit, Traurigkeit. In dieser trüben Stimmung ist es dir fast unmöglich, dich wieder deiner Gabe zuzuwenden. Es folgen trübe dunkle Tage.
Irgendwann lichtet sich der Nebel. Langsam kannst du wieder klarer sehen, kannst erkennen, worum es dir eigentlich geht. Du erinnerst dich daran, dass es dir bei deiner Gabe gar nicht um das Geld, die Anerkennung und den Erfolg geht. Du erkennst, dass die Gabe gelebt werden möchte, einfach so. Ohne Ziel, ohne Zwang, ohne Enge. Einfach so. Im Fluss sein, es tun, es genießen, es leben.
Und so beginnst du, dich wieder dem zuwenden, was dir so leicht fällt und das dich mit tiefer Freude erfüllt. Ganz bewusst widmest du dich deiner Gabe und genießt es, ganz bei dir zu sein, genießt dein pures freudvolles Sein. Und da ist sie wieder: die Glückseligkeit.
Was war passiert? Was waren diese Nebel-Stimmen?
Das war die Erfolgs-Falle. Sie schnappt immer dann zu, wenn wir uns vom freudvollen Tun und Sein abwenden und unseren Fokus darauf lenken, dass es „etwas bringen“ muss. Der Erfolg wird das Ziel unseres Handelns. Mit diesem Druck, mit diesem verschobenen Ziel, mit dieser Erwartung sind wir nicht mehr frei. Unsere Freude und Kreativität kann sich nicht frei entfalten, wenn sie „etwas bringen“ muss. Wenn wir den Fokus auf den Erfolg lenken anstatt auf die Freude und das Sein, dann versiegt diese ursprünglich unerschöpfliche Quelle unserer Kreativität und wir verlieren eins von beiden oder sogar beides: Freude und Erfolg.
Viele der großen Erfolgsgeschichten beginnen damit, dass jemand einfach „sein Ding“ macht, im ganz kleinen Rahmen, im stillen Kämmerlein, für sich, einfach so, weil es ihm Spaß macht, weil es ihm Freude bereitet, weil es ihn erfüllt, ganz ohne Absicht nach Erfolg oder Anerkennung. Und diese Freude und Begeisterung strahlt aus und zieht andere Menschen an.
Oft – aber nicht immer (!) – kommt später der äußere Erfolg als Gast hinzu. Diesen Gast darf man nicht bedrängen, nicht nötigen, nicht erwarten und nicht festhalten. Er kommt oft genau dann völlig überraschend, wenn wir die Sehnsucht und den Fokus auf sein Kommen losgelassen haben.
Wenn wir in die Erfolgsfalle stolpern und die Gedanken an Erfolg und Anerkennung lauter werden, können wir versuchen herauszufinden, wo wir gerade im Mangel sind und uns fragen: „Was fehlt mir in mir, wenn ich Erfolg und Anerkennung im Außen suche?“ Und mit der Antwort auf diese Frage werden die Nebel-Stimmen wieder leiser und schweigen dann ganz.
Wenn wir das Prinzip der Erfolgsfalle verstanden und bewusst haben, fällt es uns leichter, unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf das zu lenken, worum es uns eigentlich geht. Die Nebel-Erlebnisse werden dann seltener und dauern kürzer an. Und die Zeiten des Seins in tiefer Freude werden immer länger.
Und manchmal passiert es, dass wir vor lauter Freude am Tun und Sein gar nicht bemerken, dass zwischenzeitlich der besondere Gast „Erfolg“ eingetroffen ist. Und ganz ruhig lächeln wir ihn an und sagen: Sei willkommen.
Und wir erkennen und erinnern uns:
„Erfolg sollte stets nur die Folge, nicht das Ziel des Handelns sein.“ (Gustave Flaubert)
Herzliche Grüße
Anja Trude
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