Zu meinem Wort-Reich-Text „Die Kraft der Worte – die Entschuldigung“ habe ich einige Rückmeldungen erhalten, dass das Wort „Entschuldigung“ als oberflächlich empfunden wird und man sich ja auch nicht selbst ent-schuldigen, sich also nicht selbst von der Schuld freisprechen könne. Es sei doch besser und empathischer „es tut mir leid“ zu sagen.
Vor der Entscheidung, welches die richtige Formulierung ist, stellt sich zunächst die Frage, was genau eigentlich gemeint ist. Was wollen wir ausdrücken, was meinen wir, was fühlen und empfinden wir, wenn wir diese Worte verwenden? In welcher Situation verwenden wir das Wort „Entschuldigung“ oder den Satz „es tut mir leid“?
Wenn wir jemanden verletzt, geschadet oder ihm Leid zugefügt haben und in uns ein aufrichtiges Gefühl des Bedauerns ist, möchten wir vielleicht dem Anderen dieses Bedauern ausdrücken. Vielleicht fragen wir ihn, wie es ihm geht und was er braucht. Vielleicht möchten wir ihn wissen lassen, dass wir die Folgen unseres Tuns oder Nichttuns erkennen und ihm unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme zeigen. Vielleicht bitten wir ihn um Annahme, Ausgleich, Wohlwollen oder Versöhnung. Vielleicht möchten wir ausdrücken, wie sehr wir uns wünschen, dass sich diese „Störung im Miteinander“ wieder klärt und auflöst.
Dann braucht es die Möglichkeit, einen Weg, einen Ablauf, ein Ritual, um Unrecht einzugestehen, anzuerkennen, auszugleichen und zu versöhnen, damit ein gutes Zusammenleben in einer Beziehung, einer Freundschaft, einer Gemeinschaft oder Gesellschaft dauerhaft und harmonisch möglich ist.
Für so ein Ausgleichs-, Versöhnungs- oder Harmonisierungs-Ritual kann es verschiedene Formen geben. Wichtig ist, dass beide Seiten beteiligt und aufrichtig sind und ein Interesse daran haben, zu einem möglichst unbelasteten Miteinander zurück zu finden.
Je nach Mensch, Stimmung und Situation können eine Geste, ein liebevoller Blick, eine herzliche Umarmung, ein besonderer Händedruck oder aufrichtige Worte Elemente dieses Rituals sein.
Empfinden wir kein Bedauern und kein Mitgefühl und ist der Wunsch nach Klärung und Versöhnung nicht echt oder tun wir es nur, um unsere Ruhe zu haben oder weil man es von uns erwartet, dann wird jede Formulierung zu einer hohlen und leeren Phrase.
Die Wirkung der Worte liegt nicht vorrangig in der ursprüngliche Wortbedeutung und dem Wortstamm der verwendeten Wörter. Denn diese sind nur ein Hilfsmittel, das Gefäß, um das eigene Denken und Empfinden, die eigenen Erfahrungen, Befindlichkeiten und Konzepte so zu transportieren, dass andere sie nachvollziehen oder nachfühlen können. Dennoch ist es meist hilfreich und naheliegend, die Wörter zu verwenden, die am besten das Gemeinte ausdrücken und sich bewusst zu machen, was diese ursprünglich bedeuten.
Aber wie die gesprochenen Worte ankommen und wirken, entscheidet sich vor allem über die Energie, das Gefühl, die Absicht und die Aufrichtigkeit hinter den Worten.
Das zeigt sich sehr schön, wenn Menschen verschiedener Sprachen aufeinandertreffen. Wenn hinter dem Gesagten ein aufrichtiges Gefühl, eine Energie spürbar ist, wird die Botschaft ankommen; ob es ein ganzer Wortschwall einer fremden Sprache ist oder nur ein einziges Wort.
Auch im Umgang mit Tieren ist immer wieder deutlich zu erleben, dass es bei den Worten auf die dahinterstehende Absicht, das Gefühl und Energie ankommt, nicht auf das gewählte Wort.
Die Energie und das Gefühl nehmen wir mit Herz und Seele auf, die ursprüngliche Wortbedeutung ist eher für den Verstand wichtig.
Aber warum empfinden viele Menschen das Wort „Entschuldigung“ als abgenutzt, oberflächlich und kraftlos? Vielleicht weil häufig kein aufrichtiges Ritual und kein echtes Bedauern mehr dahinter steht. Vielleicht weil wir dieses Wort oft so unbewusst und leichtfertig sagen, dass es sich abnutzt. Vielleicht weil wir es in verschiedenen Bedeutungen verwenden.
Bei einem engen Zusammenleben entstehen immer wieder kleine Situationen im Alltag, in denen wir unabsichtlich jemanden zu Nahe treten, jemanden im Gedränge anrempeln, auf den Fuß treten, beim Gespräch unterbrechen,…
Die Summe diese „kleinen Vergehen“ führt dazu, dass das gemeinsame Ritual der Entschuldigung zu einer Kurzform und mitunter Floskel verkürzt wurde, um Zeit zu sparen, um den Aufwand zu reduzieren oder weil die „kleine Verfehlung“ nicht im eigentlichen Sinn als Fehler wahrgenommen wird.
Häufig ist an Mimik und Sprachmelodie schon erkennbar, dass das, was ursprünglich ein beidseitiges und heilsames Ritual war, nur noch floskelhaft als einseitige Aussage gemeint ist. Es klingt sachlich und mit einem deutliche Punkt am Ende.
„Entschuldigung. (Punkt).“ „Es tut mir leid. (Punkt).“
In dieser Form liegt keine Bitte, kein Angebot, kein Wunsch. Wir hoffen und warten gar nicht auf die Reaktion oder Antwort des Anderen. Das Gegenüber wird nicht mit einbezogen, es findet kein Dialog statt, kein Miteinander. Oft sind diese Worte nicht wirklich an den Anderen gerichtet sondern eher ein unbewusster Automatismus.
Ist aber unser Bedauern, unser Mitgefühl, unsere Bitte, unser Wunsch aufrichtig, so schimmert das ursprüngliche dahinterstehende Ritual hindurch und aus dem Wort „Entschuldigung“ wird etwas Großes, weil wir wirklich unseren Teil der Verantwortung übernehmen und an der Reaktion des Anderen interessiert sind.
Wenn wir herzoffen und voller Anteilnahme und Interesse sind, verändert sich die Energie des Satzes oder des Wortes und bei dem Anderen wird das Gemeinte ankommen, ob wir „Entschuldigung“, „es tut mir leid“, „ich bitte um Entschuldigung“, „ich bedaure es“ oder eine andere Formulierung verwenden.
Schön, wenn das Gefäß in Form, Stil und Art zum Inhalt passt,
aber entscheidend ist der echte und kostbare Inhalt.
Herzliche Grüße
Anja Trude
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