Verzicht auf Vergebung

alles ist göttlich

Wie im vorherigen Artikel „Schuld und Vergebung“ beschrieben, ist die Vergebung mit einigen Schattenthemen und Stolpersteinen verbunden.

Und doch kann die Vergebung das größte Geschenk und Werkzeug sein, um uns von Schuld, Schmerz und Verletzungen zu befreien.

Ist das kein Widerspruch?

Ein Perspektiv- oder Ebenenwechsel hilft, diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen. Es braucht das Erinnern an unsere innerste Weisheit, an das tiefe Wissen unserer höchsten Seelen-Essenz.

Auf dieser Essenz-Seelen-Wissensebene finden wir eine Wahrheit, die so tiefgreifend ist, dass wir uns nicht immer entscheiden können, sie komplett zu integrieren. Manchmal möchten wir diese Wahrheit lieber etwas auf Abstand halten und nennen sie deshalb „Glaube“ oder „Hoffnung“. So haben wir mehr Spielraum und es erscheint uns nicht ganz so groß und nicht ganz so verbindlich. Aber eigentlich wissen wir, dass diese Wahrheit mehr ist als Glaube oder Hoffnung. Diese Wahrheit ist ein tiefes Wissen.

Selbst wenn wir uns noch nicht trauen, diese Wahrheit wahr sein zu lassen und uns noch hinter den Begriffen Glaube oder Hoffnung verstecken, führt die höchste Weisheit uns dennoch zu bestimmten Erkenntnissen und Schritten.

Angenommen, wir hoffen, glauben oder wissen, dass jeder von uns sich auf seinem individuellen Erfahrungsweg befindet und zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Version von sich selbst ist. Und dass es für jede Seele einen größeren Plan gibt, den keiner von uns komplett überblickt und der weit über ein einzelnes Leben hinausgeht.

Wie wäre es, wenn wir tatsächlich so individuell und so verschieden „gemeint“ sind? Möglicherweise sind wir auf ganz verschiedenen Kenntnis- und Entwicklungsständen, weil wir unterschiedlich lange unterwegs sind und ganz verschiedene Vorerfahrungen und Lernaufgaben in dieses Leben mitbringen.

Was wäre, wenn wir hoffen, glauben oder wissen, dass es eine höhere universelle Ordnung gibt, einen Schöpfungsplan, eine göttliche Bewusstheit, aus der alles entstanden ist und in der alles enthalten ist? Dann ist alles und jedes und auch jeder von uns Teil des Göttlichen.

„Die Fähigkeit, zu vergeben, ist nichts weniger als die Akzeptanz eines höheren Prinzips göttlicher Gerechtigkeit, die hinter unser aller Leben als organisierender Faktor steht – und nicht einer irdischen Vergeltungslogik.“ (aus: „Im Kraftfeld der Seele“, Caroline Myss)

Und in einem anderen Buch heißt es „Und nun folgt noch das letzte Geschenk, die Vergebung. Sie wird dich von allem Schmerz, allen Verletzungen befreien, wo immer sie herrühren. Zu dieser Befreiung verhilft dir die Vergebung, [… wenn] du dich entschließt, nie wieder dir selbst oder irgendeinem anderen Menschen vergeben zu müssen. Es geht nicht darum dieses Werkzeug zu gebrauchen, sondern darum, es wegzuwerfen. Dadurch wird seine enorme Macht und Wirksamkeit freigesetzt. […] Daher sollten wir dieses Werkzeug vielleicht eher ‚Verzicht auf Vergebung‘ nennen.“ (aus: „Was wirklich wichtig ist“, Neale Donald Walsch)

 

Verzicht auf Vergebung?

Macht das tief im Inneren bei dir Resonanz?

 

[Pause zum Innehalten und Nachspüren]

 

„Verzicht auf Vergebung“ scheint etwas im Inneren zu beantworten. Einerseits ist die Vorstellung vom Verzicht auf Vergebung unerhört, doch andererseits gibt es ein großes klares Wissen, dass genau das der Schlüssel sein kann. Im Verzicht auf Vergebung schwingt etwas ganz Großes mit, schwer zu greifen, eine andere Ebene, eine höhere Weisheit.

Der Verzicht auf Vergebung gründet sich auf der Erkenntnis, dass es nichts zu vergeben gibt, weil alles göttlich und alles und jeder von uns Teil des Göttlichen ist.
Und wenn alles göttlich ist, gibt es nichts zu vergeben.

Aber was in der tiefsten Erkenntnis als wahr erkannt wird, lässt sich dennoch im Alltag oft nicht umsetzen. Nicht immer können oder wollen wir unsere innerste Wahrheit oder Weisheit hören. Besonders dann nicht, wenn wir etwas sehr Schreckliches erlebt haben und ganz fixiert sind auf die Verletzung und den Verursacher. Dann ist meist kein Raum für große Zusammenhänge und spirituelle Wahrheiten. Der Schmerz, die Verletzung, das Entsetzen, die Wut oder die Trauer sind so groß, dass alles in uns nach Ausgleich und Wiedergutmachung drängt. Wir hoffen, irgendjemand möge irgendwie für Gerechtigkeit sorgen. Und wenn schon nicht durch Menschen, dann bitte durch Gott.

Wenn auch Gott scheinbar nicht für den ersehnten Ausgleich sorgt, dann „bestrafen wir Gott“, indem wir „einfach nicht mehr an Gott glauben“. Wodurch wir uns nur selbst bestrafen, denn Gott braucht unseren Glauben nicht und wird uns auch nicht verstoßen, wenn wir uns (vermeintlich) abwenden. Wie bei einem Kind, dass zu seiner Mutter oder seinem Vater sagt: „Ich hab‘ dich nicht mehr lieb“, um seine Eltern für empfundenes Unrecht zu bestrafen. In Wirklichkeit bestraft sich das Kind nur selbst, wenn es sich von der Liebe seiner Eltern zurückzieht und vergeblich versucht, sich von der Zugehörigkeit und Anbindung zu lösen.

In der akuten Phase unseres Schmerzes wollen wir unsere innere Weisheit nicht hören. Wir wollen von göttlich, Göttlichkeit und Gott nichts hören und können (und wollen) nicht sehen, fühlen und wahr sein lassen, dass alles göttlich und Teil des Göttlichen ist.

Das ist verständlich, das ist menschlich und darf so sein. Alles braucht seine Zeit. Dazu gehört auch die Zeit der Wut, des Schmerzes und der Trauer.

Später dann, nach einiger Zeit, mitunter Jahren, Jahrzehnten oder noch längeren Zeiträumen, kann sich etwas in uns verändern. Wir können zu einem Punkt gelangen, an dem wir erahnen oder wissen, dass es wohl doch ein Größeres und Höheres gibt. Wir erkennen, dass wir alle gleichwertige Teile der Schöpfung sind, Teil des Großen Ganzen, des All-Einen, göttlich.

Und in diesem Moment wird uns klar, dass Vergebung nicht notwendig ist.

Es gibt nichts zu vergeben, weil wir alle göttlich sind.

Auch vor dem Göttlichen/vor Gott gibt es keine Schuld, keine Sünde und keine Vergebung. Gott kann gar nicht vergeben, weil alles in ihm enthalten und alles Teil des Göttlichen ist.

Diese Erkenntnis und der Verzicht auf Vergebung machen uns frei. Wir werden frei von der Annahme, wir selbst oder irgendjemand oder irgendetwas könne falsch, sündig oder schuldig sein. Verzicht auf Vergebung macht uns frei vom Tätersein, frei vom Opfersein, frei von Schuld, frei von Vergebung.

Im tiefsten Essenz-Seelenwissen können wir eine Wahrheit finden, die uns daran erinnert, dass der Verzicht auf Vergebung der eigentliche Schlüssel zum Heilsein, zur Freiheit und zum inneren Frieden ist.

Herzliche Grüße
Anja Trude

Foto:©geralt, pixabay